Archives Juli 2010

Lustig, lasziv, lebensfroh – MainEcho vom 25. Juli 2010

Burgfestspiele Alzenau: Der Filmklassiker »Irma la Douce« als Theaterkomödie

Alzenau  Der erste Anlauf dauert nur gut eine halbe Stunde. Dann fegt ein Unwetter über die Region und setzt der Aufführung von »Irma la Douce« am Freitag auf der Alzenauer Burg ein Ende. Diese Vorstellung wird dann am Sonntag vormittag Alzenauer Burgg – zum Glück ohne Regen – wiederholt. So kommt es, dass der Samstag-Abend-Termin unfreiwillig zur Premiere wird.

In welchem Milieu das Stück des Alzenauer Theatervereins Kultburg angesiedelt ist, das zeigt sich auf den ersten Blick. Leicht bekleidete Damen, einige davon echt, andere entsprechend ausstaffierte Schaufensterpuppen, gruppieren sich rund um die Bühne im unteren Burghof.

»Irma la Douce«, der Filmklassiker von Billy Wilder aus dem Jahr 1963, dürfte den meisten im Publikum mehr oder weniger bekannt sein. Abweichend von der Vorlage werden für die Alzenauer Version vier Straßenkehrer (Gabi Wittemann, Nicole Bozem, Egon Pichl, Carmen Reichenbach) eingeführt, die regelmäßig für Überleitungen und Erklärungen sorgen – und die natürlich auch hin und wieder nach einer Schlägerei die mit Scherben oder ähnlichem Müll verunreinigte Bühne säubern dürfen.

Ansonsten orientiert sich Regisseur Josef Pömmerl, auch für den Text verantwortlich, nahe am Original. Selbst den kecken Lockenkopf einer Shirley MacLaine, die damals so wunderbar locker die Irma spielte, adaptiert Sandra Majewski für ihre Rolle des Straßenmädchens. Irma, die von Kindesbeinen an im Pariser Rotlichtviertel, in der Rue Casanova, ihr Leben verbracht hat, lernt den völlig naiven Nestor (Klaus Kolb) kennen, der seinen Job als Polizist nach einer übereifrigen Razzia im Stundenhotel verliert. Sein Pech: Vorgesetzter Inspektor Levèfre (Peter Lubetzki) war hier gerade Kunde. Nestor schlägt nun bei einem Streit Irmas Zuhälter Hippolyte, genannt der Ochse (Heiko Bozem), k.o. – und übernimmt dessen Funktion. Von Eifersucht bald zerfressen schlüpft er mit Hilfe von Bistro-Wirt Moustache (Manfred Jung) in die Rolle des körperlich beeinträchtigten Lord X. Alles nur, um Irma von anderen Männern fern zu halten.

Der Plan misslingt, denn nun muss Nestor nachts arbeiten, um Irma bezahlen zu können. Die Beziehung bröckelt, der Lord muss weg – und doch wieder her, denn Nestor wird für den angeblichen Mord verhaftet. Geschickt nutzt die Aufführung die örtlichen Gegebenheiten, Treppenaufgänge werden einbezogen, das Stundenhotel einerseits diskret hinter einer Wand angesiedelt, anderseits mit einem Bett im ersten Stock wieder sichtbar gemacht.

Oftmals spielt sich das Geschehen parallel ab: Während Irma mit dem Lord im Hotelzimmer plaudert, zocken die Zuhälter (Georg Heres, Alfred Kolb, Josef Pömmerl) und die anderen Straßenmädchen (Ursula Stöckl-Elsesser, Stefanie Elsesser, Moniera Romann und Claudia Bross) stöckeln lasziv auf und ab. Der Lord taucht einfallsreich als Schattenriss ab und wieder auf, und Stefan Rupprecht, der vielseitig unter anderem in die Rollen von Polizist, Matrose und Pfarrer schlüpft, darf sogar in einer Art Bobart-Kostüm das Publikum erheitern.

Zu Beginn der Vorstellung wirken manche Szenen noch etwas hölzern, doch spielen sich vor allem Irma, Nestor und Moustache im Laufe des Abends wunderbar warm. Klaus Kolb läuft vor allem als Lord X mit britischem Zungenschlag zur Höchstform auf. Auch Claudia Bross, die von Klaus Staab musikalisch begleitet wird, bereichert das Stück mit ihren gelungenen Gesangseinlagen.

Immer öfter müssen die Zuschauer lachen, obwohl die ungewohnte Kälte viele eher zum Schlottern bringt. Ein paar Kürzungen hätten der Aufführung dennoch gut getan, die auf eine Länge von drei Stunden angelegt, phasenweise etwas Dynamik vermissen lässt. Auch wenn Irma einfach göttlich zu heulen vermag und Moustache gekonnt aus seinem illustren Lebenslauf plaudert. Aber das ist eine andere Geschichte.

Martina Jordan

Weitere Termin in Kahl: Freitag, 20., Samstag, 21. August, jeweils 20 Uhr; Karten gibt es im Rathaus Kahl, Tel. 06188/9440, Ticket-Service Alzenau, Tel. 06023/310940.

Tausche Ehemann gegen praktische Gehhilfe – MainEcho vom 20. Juli 2010

Burgfestspiele: Fulminante Kultburg-Inszenierung der »Witwendramen« – Tiefschwarze und schräge Episoden-Revue von Fitzgerald Kusz

Alzenau  Die Premiere der »Witwendramen« des fränkischen Schriftstellers Fitzgerald Kusz entpuppte sich am Sonntagabend im oberen Burghof als bislang fulminanter Höhepunkt der diesjährigen Burgfestspiele.

Die fünf Schauspielerinnen des Alzenauer Theatervereins Kultburg traten gemeinsam mit ihrer Regisseurin Anni Christ-Dahm als Energie geladenes Frauenquintett auf, das die Zuschauer bereits nach den ersten von insgesamt 32 Szenen im Sturm erobert hatte. Marianne Hofmann, Maria Fleschhut, Maria Schiller und Britta Olbrich zogen gemeinsam mit Christ-Dahm alle Register ihres Könnens und verwischten die Grenzen zwischen Laien- und Profitheater mühelos mit einem Schlenker des kleinen Fingers.

Dabei stellt die schräge Revue des 1944 in Nürnberg geborenen Kusz besondere Herausforderungen. Insgesamt 58 Szenen rund um die Themen Witwen, Tod, Trauer und Verlust stellt der Autor in einer Art Materialsammlung zur Verfügung. Einfach sei es ihr gefallen, so Regisseurin Anni Christ-Dahm, die 32 Episoden für die Burgfestspiele herauszusuchen. »Ich wusste auch gleich, wie die Besetzung aussehen soll«, erzählt sie, die trotz Erkältung und angekratzter Stimme die Premiere durchgehalten hat. Als Regieassistentin stand ihr Christiane Köster zur Seite. 

Geschichten, wie das Leben sie schreibt, liefert Kusz, einige tieftraurig, andere urkomisch oder bitterböse. Teilweise jongliert der Schriftsteller von Mundart-Klassikern wie »Schweig, Bub!« haarscharf am Abgrund zur Pietätlosigkeit entlang, überschreitet sie doch nie.

Schwarz, schwärzer, Witwendramen möchte man die Steigerungsform fortsetzen. Manchmal bleibt es mucksmäuschenstill nach einer Szene, in den meisten Fällen schallt befreiendes Gelächter über die fast intim anmutende Spielstätte, in der das Stück noch authentischer wirkt als auf einer Bühne, die weiter weg von den Publikumsplätzen ist.

Dauerthema Männer

Einige Themen ziehen sich wie ein roter Faden mit Fortsetzungen durch die zweieinhalbstündige Aufführung (inklusive Pause). Im Treppenhaus, im Fitnessstudio, im Park oder an der Endhaltestelle Waldfriedhof parlieren die Witwen miteinander oder halten Monologe.

Die eine ist froh, ihren Mann endlich los zu sein, wie die junge Frau, die sich auf dem Friedhof in einer Art Befreiungsschlag von dem Ehe-Tyrann lösen möchte. Dazu trinkt sie mit ihrer Freundin Schnäpse auf ex und wirft die kleinen Fläschchen auf das Grab des gehassten Verstorbenen (»der Arsch hat mich immer noch fest im Griff. Der lebt in meinem Kopf weiter!«).

In jeder Szene wechseln die Kultburglerinnen die Kostüme inklusive Perücke, Hüte, Schmuck, Handtasche und was frau sonst noch so mit sich trägt. Teilweise biegt sich das Publikum schon beim bloßen Anblick der Witwen vor Lachen auf seinen Plätzen. Vor allem Marianne Hofmann und ihre Schwester Anni Christ-Dahm, die auch als »Duo Uffschnitt« auftreten, sind für die Bühne wie geschaffen. Ihre Wandlungsfähigkeit kennt keine Grenzen. Die mondäne Witwe Jackie Onassis mit strahlendem Lächeln (in der Reihe »Berühmte Witwen«) wird genauso überzeugend gegeben wie eine herbe Kaffeetante mit Dauerwelle und Hornbrille.

Zwischen Trauer (»was gäb’ ich dafür, wenn ich seine Krümel noch mal wegräumen dürfte«) und Pragmatik (»ich brauch keinen Mann, ich brauch eine Gehhilfe«), zwischen Tortenteller und Fitnesshantel, bei der Testamentseröffnung mit bitterer Überraschung für die langjährige Ehefrau und am Kaufhauswühltisch – Kuszs Szenen zeigen, wie das Leben auch nach dem Tod weitertobt, welche Veränderungen mit den Witwen vor sich gehen in all ihren negativen und positiven Konsequenzen. Die eine blüht auf, die andere verwelkt. Für die eine beginnt das Leben, für die andere ist es zu Ende gegangen.

Todesanzeigen und Danksagungen werden verlesen, aber auch Männerwitze und andere Weisheiten verkündet, bei denen die anwesenden Männer brav mitspielen und in das schallende Gelächter der Frauen mit einstimmen. Einigen Herren sieht man die Anstrengung ein wenig an.

Dabei lernt man die Weisheit argentinischer Sprichwörter kennen (»Es ist besser, der zweite Mann einer Witwe zu sein als ihr erster«) und erhält die Antwort auf die existenzielle Frage »Was macht eine Frau, wenn ein Mann aus dem Fenster springen will?«. Die Antwort ahnt man bereits: »Sie gibt ihm den Müll mit.«

 

Doris Huhn