»Der Nackte Wahnsinn« – MainEcho 18. Juli 2006

»Der Nackte Wahnsinn«

Toll, dass alles schief läuft!
Theaterverein »kultBurG« spielt »Der nackte Wahnsinn« bei Burgfestspielen

Der Schlussapplaus ist nicht unbedingt ein guter Gradmesser für die Qualität des Stücks respektive der Schauspieler. Denn sobald sich eine Aufführung der Drei-Stunden-Marke nähert, hält der Beifall meist nicht lange. Da bedarf es anderer Kriterien, die vom Wohlgefallen der Zuschauer zeugen – und derer hat es am Freitag in Alzenau reichlich gegeben: Applaus, Gelächter, Freudenquietscher und Entsetzensseufzer begleiteten Michael Frayns »Der nackte Wahnsinn«, den der Theaterverein »kultBurG« bei den Burgfestspielen Alzenau veranstaltete.

 

Die fetzige, temporeiche Komödie setzt beim Alptraum jeden Schauspielers und Regisseurs an: der sprichwörtlichen Generalprobe, bei der alles schief läuft. Doch damit gibt sich der Engländer Frayn nicht zufrieden, denn um wie viel schwärzer wird ein solcher Alptraum, wenn die Schauspieler in heimlichen Beziehungen und heimeligen Beziehungskisten verfangen sind!

Spannend ist bei einem solchen Alptraum natürlich nicht nur, welche Szenen sich während der Probe auf, sondern vor allem, welche sich während einer Tournee hinter der Bühne abspielen – und, im übertragenen Sinne, vor und hinter den Türen: Voilà, zweiter Akt. Aus zwei Perspektiven ergeben sich dieselben Kollisionen, doch zunehmend verschärft: Denn Chaos hinter impliziert einen Alptraum auf der Bühne – der Komödie dritter Teil.

Die Laien-Schauspieler agieren in Doppelrollen; vier charakterstarke Männer und fünf entschiedene Frauen stolpern in Verwirrungen munter übereinander, spannen mit Missverständnissen Fallstricke, stehen sich mit Wissen und Nicht-Wissen-Wollen im Weg. Roger Kihn als gebräunter Gigolo im weißen Anzug, der nur als Schauspieler Garry, nicht aber als Privatmann Roger einen flüssigen Satz über die Lippen bringt, ergänzt sich mit Heike Wissel als tussihafter Brooke, die als Privatfrau Vicky mit dem Regisseur alias Uwe Schramm zugange ist, zu einem herrlichen Paar. Doch halt! Der hält sich auch die graue Maus Poppy (Carolin Gündling), die als Regieassistentin den Fußabtreter geben muss. Garry alias Roger ist zudem heimlich mit Mrs. Clackett alias Dotty liiert, die Anni Christ-Dahm als schlappmäulige Hausfrau spielt. Dieses Geflecht durchschaut natürlich nur eine Frau: Sandra Alig hat sowohl als seriöse Belinda wie auch als klatschsüchtige Privatfrau Flavia den Durchblick, während Florian Zimmer als ihr korrekter Gatte Frederick vor der Steuerfahndung flieht und privat als Philip mit Liebeskummer kämpft. Dazwischen begeistern Manfred Jung und Gabi Wittemann mit ihren prägnanten Auftritten als verschlafener Selsdon und stolzer Einbrecher sowie als Bühnenmeisterin und Privatfrau Kim. Was höchst kompliziert klingt, ist es auch – aber vor einer geschickten Kulisse mit Türen, die sich von zwei Seiten zeigen, rasant und schlüssig inszeniert. Regisseur Josef Pömmerl lässt seinen verzweifelten Kollegen im Stück hinter, neben und vor den Zuschauerreihen agieren, ganz wie bei einer echten Theaterprobe. Jeder Zuschauer schwankt so zwischen heillosem Entsetzen – dem vor unterdrücktem Zorn bebenden Schramm gleich – und haltloser Gaudi.

Das Treiben entwickelt sich immer mehr zur rasanten Verfolgungsjagd. Die ist immer witzig und gewollt heftig, aber bisweilen doch so lang und dick aufgetragen, dass der klug gelöste Bühnenumbau vor dem auf einem Schiff spielenden dritten Akt – ein Seemann spielt Schifferklavier – unverdient abrupt wirkt. Einerlei: Die Zuschauer rasten vor Begeisterung – und ach ja, wie schön, dass nackte Haut wenigstens beim Laientheater noch ein Aufreger ist.

Susanne von Mach

Weitere Vorstellungen: Freitag, 21., und Samstag, 22., Freitag, 28., und Samstag, 29. Juli, jeweils um 20.30 Uhr