Romeo und Julia – MainEcho vom 10. Juni 2002
Heiter erotischer Totentanz mit strikter Rollenteilung
Die Gruppe »kultBurG« eröffnete am Freitag mit Shakespeares »Romeo und Julia« die Alzenauer Burgfestspiele 2002
Alzenau. Da hatten wohl die vielen bangen Blicke, die am Freitag gen Himmel gesandt wurden, und die Stoßgebete an Petrus geholfen: Die Premiere von »Romeo und Julia«, zugleich der Auftakt der Burgfestspiele Alzenau 2002, wurde von keinem Tröpfchen Regen getrübt. Und so gab es im Burghof große Unterhaltung mit der berühmtesten Liebestragödie der Welt. Nach über drei Stunden spendete das begeisterte Publikum allen Beteiligten stürmischen Applaus.
»Nein, ich bin nicht Romeo«, stellte Helmut Schuhmacher, Stellvertretender Bürgermeister von Alzenau, eingangs klar. Er erinnerte in seiner Begrüßung daran, dass sich im September vergangenen Jahres nach dem Erfolg der Aufführungen des Stücks »Lukas, der Silberschmied von Alzenau« eine Theatergruppe gegründet hat. Hauptanliegen von »kultBurG« ist es, regelmäßiges Open-Air-Theater in der Burg anzubieten. Schuhmachers Dank galt dabei vor allem Josef Pömmerl, der nicht nur Regisseur der Alzenauer Inszenierung von »Romeo und Julia« ist, sondern auch eine neue Übersetzung des Shakespeare-Stücks geliefert hat, die sich wohltuend von der weithin bekannten romantisierten Schlegel/Tieck-Übersetzung abhebt.
Dabei setzte die Alzenauer Inszenierung stark auf zwei Hauptmerkmale Shakespear’scher Dichtkunst. Da ist zum einen der zeitlose Humor, der erst zum Schluss der Tragödie vom Trauerspiel überdeckt wird. Zum anderen weckten die Dialoge zumindest eine leise Ahnung der oftmals derben sexuellen Anspielungen, die der englische Schriftsteller im Überfluss benutzte. Die Sommertheater-Sprache ist modernisiert und gut verständlich, bisweilen sogar neusprachlich (»Ist das nicht Scheiße, Alter?«).
Sicher, für etwas Verwirrung sorgte anfänglich die Tatsache, dass alle Capulet-Rollen mit Frauen und alle Montagues mit Männern besetzt wurden und das nicht, weil bei »kultBurG« Überschuss im männlichen oder weiblichen Sektor herrscht, sondern weil sich Romeo und Julia »kontrageschlechtlich« verhalten, wie es im Programmheft formuliert ist. Während Julia selbstbewusst ihre Gefühle auslebt und nicht die brave, angepasste Tochter ist, steht Romeo ständig vor einem Nervenzusammenbruch, den er letztlich schluchzend und wimmernd durchlebt. »Deine Tränen sind die einer Frau« muss er sich von Pater Lorenzo anhören.
Drei Stunden können die Zuschauer den Ausflug in das Verona vor 400 Jahren genießen. Vor einer überaus praktischen Kulisse (Jakob Flörchinger) entwickelt sich das Spiel um die beiden zerstrittenen Familien. Die speziell für das Stück in Auftrag gegebenen Kostüme sorgen für ein authentisches Gefühl. Wunderschön sind die Gewänder und mit vielen Details versehen, bestickt, gerafft, geschnürt oder mit Spitzen verbrämt.
Wie beim »Silberschmied« steuert auch dieses Jahr »Alia Musica«, ein Ensemble für historische Musik aus Frankfurt, den stilgerechten musikalischen Rahmen bei. Zusätzliche Effekte bringen historische Tänze (Choreografie Marion Emmert) und teils heftige und sehr echt in Szene gesetzte Fechtkämpfe, die von Emil Hartmann einstudiert wurden. Ein ganz dickes Lob gilt aber der 30-köpfigen Schauspieltruppe, die seit Januar geprobt hat. Alle trugen ein Stück zum Erfolg des Stückes bei. Vor allem das Pärchen Romeo und Julia bewältigte seinen schwierigen Part bravourös. Zur Premiere traten Katharina Wilz und Tobias Graupner auf, die Rolle teilen sie sich aber mit Regina Kilchenstein und Florian Munder, die ebenfalls dreimal auftreten werden.
Die Schüler aus der Theatergruppe des Spessart-Gymnasiums fanden den richtigen Ton und die richtige Körpersprache, um das berühmteste Liebespaar der Welt natürlich und ungestelzt auf die Bühne zu bringen. Katharina Wilz verkörperte eine Julia, der sicher noch ganz viele Romeos aus dem Publikum gerne den Hof gemacht hätten. Einige Darsteller, die wegen überdurchschnittlicher Leistungen im Ensemble auffielen, seien ebenfalls namentlich erwähnt. Da ist zunächst einmal die Amme. Gabi Wittemann ist scheinbar für diese Rolle geboren. Herrlich wie sie Schwatzhaftigkeit und geschicktes Verzögern beim Preisgeben einer Nachricht vereinte. In den Reihen von Romeos Verwandtschaft setzte Heiko Bozem als Mercutio Akzente. Dieser Typ, der den lieben, langen Tag »nur Schweinereien im Kopf hat«, klopfte einige der wohl eindeutig zweideutigsten Sprüche, ohne mit der Wimper zu zucken. Und da war noch der souveräne Uwe Schramm als Pater Lorenzo, der zunächst hofft, mit schlauer Umsicht die Fäden des Geschehens in der Hand zu halten, der aber dann erkennen muss, dass sie ihm entglitten sind.
Belebend für das Geschehen war, dass sich die Spielszenen immer wieder in den gesamten Zuschauerraum ausdehnten. Da traten ganze Gruppen vom Burgtor her auf, da erschien Romeo an einem geöffneten Fenster des Gerichts, oder eine wilde Fechtszene wurde auch schon mal vor der ersten Reihe ausgetragen. Die Ereignisse im zweiten Teil des Stückes wurden außerdem reizvoll durch die anbrechende Nacht untermalt: eine Szene auf der Bühne, die nur von einem Scheinwerfer erhellt wird, macht sich besonders gut, wenn zugleich noch echte Schwalben Sturzflüge proben. Und die Dramatik, die von einer Menschenmenge ausgeht, die mit echten Fackeln zur Gruft eilt, ist mit Open-Air-Atmosphäre deutlich gesteigert. Der berühmte Satz »Es war die Nachtigall und nicht die Lerche« war natürlich im idyllischen Burghof besonders gut am Platze.
Restkarten für die Vorstellungen von »Romeo und Julia« am 14., 15., 16. und 21. Juni, jeweils um 20 Uhr, sind beim Verkehrsamt der Stadt Alzenau erhältlich unter 06023/502-112.
Doris Huhn