Norway today – MainEcho vom 10./11. Juli 2004

Auf der Suche nach dem echten Leben

Dritte Premiere im Rahmen der Alzenauer Burgfestspiele: Beifall für »norway.today«

Alzenau. Eine beeindruckende schauspielerische Leistung zeigten die beiden Hauptdarsteller Katharina Wilz und Tobias Graupner bei der dritten Premiere der Alzenauer Burgfestspiele: Igor Bauersimas mehrfach ausgezeichnetes Stück »norway.today« stand Donnerstagabend auf dem Programm. Bürgermeister Walter Scharwies erinnerte eingangs daran, dass das Stück bereits im Oktober im Rahmen der unterfränkischen Kulturtage Premiere feiern konnte.

 

Die Wiederaufnahme für ein größeres Publikum wollte bewusst auf »die Erfahrung durch Räumlichkeiten« eingehen, wie Regisseurin Ursula Jebe bemerkte. So änderten in der zweistündigen Inszenierung nicht nur Julie und August ihren Standort auch das Publikum begab sich von der »sicheren« Burg ins Freie, in eine norwegische Landschaft im »fränkischen Urgestein«, wie es der Rathauschef formulierte. Doch zurück zum Beginn: Zwei junge Menschen treffen sich in einem der unzähligen Chat-Räume der Welt im Internet und finden ein Thema, das sie fesselt: Sie wollen gemeinsam Selbstmord begehen, nicht nur, weil es cool ist, das zu denken und in die Tastatur zu tippen, sondern in echt, in der Realität, nicht als »Fake«, etwas, was unwirklich ist. Die beiden Hauptfiguren saßen in dieser Szene in zwei nebeneinander liegenden Fensternischen, halb verdeckt von Stoffbahnen und sprachen ihre Botschaften laut vor sich hin. Die Kernaussagen erschienen außerdem auf einem blauen »Bildschirm«, der zwischen ihnen auf die Wand projiziert wurde. »Meine Nachricht ist nur für Leute bestimmt, die sich umbringen wollen«, sagt Julie mit spröder, aber bestimmter Stimme und fragt: »Möchte jemand mit mir gehen?« Die Gründe für ihren festen Entschluss nennt sie erst später, im Chat gibt sie nur so viel preis: »Froh kann ich nur in meiner eigenen Gesellschaft sein, weil ich da wahr sein darf.« Diese Gedanken sind dem 19-jährigen August nicht fremd. Sein Ziel ist, »fast nicht da zu sein. Meistens steht alles still. Und ich stehe still«. Seiner Meinung nach geschieht im Leben nichts Echtes, doch mit Julie Selbstmord zu begehen »das wäre vielleicht was Echtes«. »Aus so ‘nem Fake wie hier tret’ ich doch easy ab«, schreibt August locker im Chat und erschrickt dann über das Tempo, mit dem Julie ihren todernsten Plan verfolgt. Doch am norwegischen Lysefjord, über einem 600 Meter hohen Abgrund angekommen, fällt auch Julie aus ihrer Rolle spätestens in jenem Moment, als sie nach einer Rangelei halb über der Klippe hängt und um Hilfe schreit. Das Wetter im oberen Burghof unterstützte die dramatische Situation optimal: Während es immer dunkler wurde, kündigten aufkommender Wind und Donnergrollen das nächste Gewitter an, während Julie und August den Zwiespalt ihrer Gefühle durchlebten. Das Paar mit der außergewöhnlichen Verabredung geht sich zunächst enorm auf die Nerven. Großartig, wie Katharina Wilz und Tobias Graupner nicht nur ohne Texthänger auskamen, sondern auch schreiend und weinend, aber auch bittend und zärtlich flüsternd Einblicke in das Seelenleben von Julie und August gaben. Trotz des ernsten Themas gibt es auch Situationskomik, zum Beispiel als August Julie fragt, warum sie nicht alleine Selbstmord begeht und sie das mit dem nicht lohnenden »Aufwand-Nutzen-Vergleich« beantwortet. Nach einer Nacht, in der sie sich, im Konjunktiv versteht sich, ausmalen, wie sie mit dem anderen eine letzte Liebesnacht verbringen, sollen Videobotschaften an die Familie aufgenommen werden. Doch alles klingt nicht gut genug für Julie, die angeblich »schon alles gehabt und gelebt« hat. »Ich will, dass das gut kommt hier, ich bring’ mich doch nicht jeden Tag um«, teilt sie August beim 15. Versuch mit, bei dem das Stück durchaus auch Längen offenbarte. Am Ende erkennen die beiden anders als in der Zeitungsnotiz über den im Internet verabredeten Selbstmord zweier junger Menschen, die der Autor zur Anregung für sein Stück nahm dass das Leben eine echte Alternative sein kann und die Suche danach eine Herausforderung. Die starke Leistung des kompletten Teams in »norway.today« wurde nicht nur vom begeisterten Publikum mit verdientem Beifall honoriert, sondern auch von Direktor Gerd Büttner von der Sparkasse Aschaffenburg-Alzenau, dem Sponsor der Burgfestspiele, mit Rosen und Sekt bedacht. Doris Huhn