Klezmer-Konzert mit »Oyftref« (weitere Projekte)- MainEcho vom 9. November 2004

Die jüdische Kultur lebt auch in Deutschland weiter

DAGA, evangelische Kirchengemeinde und Theaterverein kultBurG luden zu Klezmer-Konzert mit »Oyftref« ein

»Wir haben allzu früh der Vergangenheit den Rücken zugekehrt, begierig, uns der Zukunft zuzuwenden. Die Zukunft wird aber abhängen von der Erledigung der Vergangenheit.« (Bertolt Brecht)

Alzenau. »Der Untergang« im Kino, die Ausrufung der »nationalen Wende« beim NPD-Parteitag in Thüringen, eine nur hierzulande nachvollziehbare Diskussion um die »Flexibilisierung« des Tags der Deutschen Einheit – die Vergangenheit, auf die Brecht sich beziehen mag, ist in Deutschland beileibe nicht »erledigt«.

 

Dass der Vergangenheit »nicht allzu früh der Rücken zugekehrt« wird, dafür sorgen in Alzenau jedes Jahr Menschen, die der Reichspogromnacht des 9. November 1938 gedenken. Heuer luden die Deutsch-Ausländische Gesellschaft Alzenau (DAGA), die evangelische Kirchengemeinde und der Theaterverein kultBurG aus diesem Anlass am vergangenen Sonntag zum Konzert mit dem Trio »Oyftref« ein – bekannte Gäste aus Hannover, die sich schon durch mehrere Auftritte hier Freunde gemacht haben.

Annette Siebert, Thomas Siebert und Stefan Goreiski begeisterten ihr Publikum in der evangelischen Kirche mit zwei Stunden jiddischer Musik, die aber nicht nur an den äußeren Beginn der systematischen Vernichtung der Juden in Deutschland erinnern sollte. »Wir dürfen damit auch teilhaben an der schönen Geschichte, dass jiddische Kultur nicht untergegangen ist, sondern weiter lebt«, sagte die Violinistin des Trios am Ende des Abends.

Fröhlicher Ursprung des Klezmer

In vielen Ohren klingt manches Klezmer-Lied, intoniert mit seufzender Oboe und klagender Geige, leicht melancholisch – vielleicht deshalb werden die Stücke so oft im Umfeld von Gedenktagen wie dem 9. November gespielt. Ihr Ursprung aber ist ein fröhlicher: Die »Klezmorim« genannten Musiker spielten bei Hochzeiten der aschkenasischen, das heißt mittel- und osteuropäischen Juden auf. Am Sonntag gehörten daher etliche Tänze zum Programm der virtuosen Künstler, die gerade von einem Klezmer-Kurs aus Israel zurückgekehrt waren. Auch Lieder wie »Der Traum der Braut« deuteten auf die Herkunft der Lieder.

Im Repertoire hatte »Oyftref« aber auch Liedgut deutscher Juden: Viele Melodien waren dem Gesangbuch »Hawa naschira« entnommen, das die jüdische Gemeinde Hamburg im Jahr 1935 zusammengestellt hatte. Der hebräische Titel bedeutet »Auf, lasst uns singen« und ist ein Aufruf zum gemeinsamen, freudigen Tun – man beachte: immerhin zwei Jahre nach Hitlers Machtergreifung und bei stärker werdenden Repressalien. Ein solch harmonisches Miteinander war dem Trio jedenfalls anzumerken. Engagiert und perfekt aufeinander abgestimmt musizierten sie im Altarraum der Kirche und verwunderten die Zuhörer mit ihren Variationskünsten. Geige, Altklarinette, Oboe, Akkordeon und Percussions kamen zum Einsatz, und Stefan Goreiski lieh den jiddischen Texten seine Stimme. Faszinierende Klangbilder entstanden: Mit Geige und Oboe simulierten die Musiker etwa einen Wind im Garten Eden, aus dem sich sanft ein Lied entwickelte und in dem es ebenso sanft wieder verschwand.

Lyrik zum Anlass zitiert

Zwischen den Stücken zitierten Schauspieler der kultBurG Lyrik, die dem Anlass des Konzerts entsprachen. Dietrich Bonhoeffer, Ingeborg Bachmann, Hilde Domin oder Erich Fried kamen so zu Wort; ihre Texte boten Gelegenheit, »über die Vergangenheit nachzudenken« – wie kultBurG-Leiter Josef Pömmerl es in seiner Begrüßung angeregt hatte. Vor ihm hatte Christian Schauer, Vorsitzender der DAGA, an die Vorgeschichte und Geschehnisse der so genannten »Reichskristallnacht« erinnert. Auch in Alzenau seien Sakralgegenstände aus der Synagoge zerstört worden, und in Hörstein seien Juden heftig attackiert und verletzt worden.

Angesichts der jüngsten Erfolge rechtsradikaler und -extremer Parteien und bei zunehmender sozialer Spaltung sehe er die Gefahr, dass »diese Strömung noch stärker werden kann«, warnte Schauer. »Meine Bitte daher: Aufklärung leisten und sich sozial engagieren!«

Wie es in diesem Sinne gehen kann, zeigt die evangelische Kirche Bayern: Die hatte am Sonntag zu einer Sonderkollekte »zur Förderung des jüdischen Lebens in Bayern« aufgerufen, wie Hausherr Pfarrer Jörg Schemann in seiner Begrüßung erwähnte.

Michael Hofmann