Es war die Lerche – MainEcho vom 15. Juni 2002

Nach Jahren liebt Romeo nur noch Wärmflasche Lisa

Köstliches Theatervergnügen in Alzenau mit »kultBurG« und Ephraim Kishons »Es war die Lerche«

Alzenau. Exakt 29 Jahre und acht Monate sind sie verheiratet, und das sind exakt 29 Jahre und acht Monate zu viel. Schon am Frühstückstisch fliegen die Fetzen, Nettigkeiten wie »Vollkretin« und »Abfallprodukt der Menschheit« werden zum Kaffee gereicht und am Ende stehen entweder die Scheidung oder ein Mord.

 

Die Rede ist von dem berühmtesten Liebespaar der Welt, Romeo und Julia, das Ephraim Kishon in seiner herrlichen Komödie »Es war die Lerche« weiterleben lässt. Seine Einblicke in das Eheleben der beiden nach besagter Zeitspanne sind alles andere als romantisch, bringen allerdings den Rittersaal, in dem das Stück als zweite Veranstaltung der Alzenauer Burgfestspiele von dem Verein »kultBurG« aufgeführt wird, vor Lachen ins Schwanken.

Mit diesem zweiten Werk wollten die Verantwortlichen das erste Stück, Shakespeares Original, ergänzen und gleichzeitig einen Kontrast setzen. Das ist bestens gelungen. Das 90-minütige Werk, das Ursula Jebe in einer großartigen Regieleistung auf die Bühne gebracht hat, verläuft in flottem Tempo, spritzige Dialoge und immer wieder umwerfende Situationskomik unterhalten das Publikum glänzend.

Die sechs Darsteller, allen voran die umwerfende Marianne Hofmann als Julia und der souveräne Josef Pömmerl als drittklassiger Ballettlehrer, verwischen die Grenzen zwischen Laien- und Profitheater mit ihrem Spiel. Großes Lob auch an Klaus Kolb, der Shakespeare mimt, Emilia Neumann, die aufmüpfige Tochter von Romeo und Julia mit Namen Lucretia, Uwe Schramm, der erneut den nun stark gedächtnisgeschädigten Pater Lorenzo verkörpert sowie Rita Mengele in der Rolle der geschwätzigen Amme, die der Weiberheld Romeo mehr begehrt als seine ehemals so geliebte Julia.

Genial gelöst wurde die räumliche Situation im Rittersaal. Die kleinen Nischen dienen als Schlafzimmerersatz, Bad oder Jugendzimmer, aus dem immer wieder Gitarrenklänge erschallen (Musik Sebastian Hennecke). Quer über eine Seite zieht sich eine Wäscheleine mit baumwollenen langen Unterhosen Marke »Nieder-mit-der-Erotik«.

Der Wecker klingelt. Während Momo (ja, richtig, Romeos Kosename) seine Schlafsocke von den Augen zieht, kümmert sich Julia um Schadensbegrenzung in Sachen Make up. Und als ihr Romeo die Verse aus früheren Zeiten deklamiert (»Sprich noch einmal, du holder Engel, du«) meint sie nur hörbar genervt: »Lass doch die alten Geschichten«. Doch es kommt noch schlimmer. Die 14 Jahre alte Tochter Lucretia (»in deinem Alter war ich fast schon Witwe«), offensichtlich auf dem Selbstverwirklichungstrip, schleudert ihrem Vater statt einem gesitteten »Guten Morgen« ein alternatives »Ich verachte dich« entgegen und fügt mit einem süßen Lächeln an »Alter Trottel«, worauf hin ihr Vater artig pariert: »Mein kleines Strichmädchen«.

Lichtblicke im Veronesischen Zuhause bringt für Romeo der Besuch der Amme, die zwar ? das Alter fordert seinen Tribut ? schwerhörig ist, aber wunderbare Rundungen besitzt, die der ausgehungerte Romeo genießt. Und während Romeo ihr gesteht, dass Julia frigide ist, beichtet diese Pater Lorenzo, dass ihr Mann na, was wohl, impotent ist. Ja, wäre sie nur vor 29 Jahren nicht zu früh aufgewacht, dann hätte Romeo tot zu ihren Füßen gelegen »wirklich schade«!

»Du hast ein Sexproblem«, erkennt denn auch der fromme Pater und rät Julia voll Weisheit: »Geh in ein Kloster, da gibt es viele junge Mönche«. Außerdem soll sie beten, ein »Pater Noster dreimal täglich« oder wie das Ding noch mal hieß und Julia fragt ehrfürchtig: »Vor oder nach den Mahlzeiten«.

Wahrhaft schockierend sind die Offenbarungen Julias über Romeos wahres Intimleben. Seit Jahren unterhält er schon eine Liebesbeziehung zu einer Wärmflasche namens Lisa »und er schläft jede Nacht mit ihr. Was hat sie, was ich nicht habe?« fragt sich die verzweifelte Ehefrau.

Noch einmal eine Überraschung beschert im Stück das Erscheinen von William Shakespeare persönlich, dem das Treiben seiner Figuren im Grab keine Ruhe gelassen hat und sie nun »an Sitte und Anstand gemahnen möchte«. Der Meister selbst ist ebenfalls von der Erinnerung her nicht mehr ganz sattelfest und so mischt er munter Zitate und Personen aus seinen zahlreichen Werken bunt durcheinander, was ein besonderen Spaß für Kenner seiner Lustspiele und Tragödien ist. »Immer diese Textanleihen aus anderen Stücken«, beschwert sich Julia deshalb bei ihrem Mann. Doch dieser zuckt nur die Achseln: »Was willst du machen, er hat das Copyright!«

Ordentlich Kontra geben die beiden ihrem Schöpfer als sie endlich mal zu Worte kommen. »Maestro, Sie sind ein Massenmörder!«, kritisieren sie seine von Leichen geprägten Werke. Und außerdem möchten Romeo und Julia jetzt genau wissen, ob er wirklich der Autor der ihm zugeschriebenen Stücke ist (»Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage«).

Liebe auf den ersten Blick ist es aber, als der Dichter-Geist und die junge Lucretia aufeinander-treffen. Sie findet ihn ganz cool, er ist bezaubert von ihrer Schönheit und hebt unablässig Tempo-Taschentücher auf, die sie ihm lässig vor die Füße wirft. »Ich will mit Willy auf einen Trip gehen und dann mit ihm schlafen«, verkündet sie selbstbewusst ihren Eltern, worauf Papa Romeos einziger Kommentar ist: »Erst machst du deine Hausaufgaben!«

Trotz ungewöhnlichster Aufführungstermine (Mitternachts- und Frühstückstheater) sind bereits jetzt alle weiteren Veranstaltungen ? auch die beiden Zusatzveranstaltungen ? restlos ausverkauft. Dass Bedarf für ein Sommertheater in Alzenau besteht, dürfte damit nach dem Jubiläumstheaterstück im vergangenen Jahr endgültig feststehen. Der Verein »kultBurG« hat dabei ein sehr sicheres Händchen in der Stückauswahl bewiesen. Viele schlummernde Talente konnten entdeckt und mobilisiert werden. Und so steht der Name der Gruppe nicht nur für Kultur, sondern mittlerweile auch für echten Theater-Kult. Die Stadt Alzenau ist damit um eine funkelnde Facette reicher geworden.

Doris Huhn