Anni im “Speakers Corner”- Sieben Plus vom November 2005

Warten auf die große Chance

Raus auf die Bühne: Vor leichten Sprüchen kommt harte Arbeit 1000 Watt Scheinwerferlicht voll ins Gesicht, die Welt ist eine einzige Bühne und doch nur fünf Meter lang und drei Meter tief. Vor dem Mikro – im Dunkeln – sitzen 200 Beobachter, wollen den Alltag weglachen. Bleiben sie stumm, bilden die Bretter da oben den schlimmsten Ort auf Erden; wird die Komödie zur Tragödie; markiert der Abgang das Ende des Traums, als Künstler Karriere zu machen.

 

Dabei soll doch der gleißende Schein für immer das Sein bestimmen. »Du bist die Vor- und die Nachspeise«, sagt Clajo Herrmann zu Michael Eller: der Mann, der die Stimmung anheizt und das Publikum gut gelaunt in die Nacht hinaus entlässt. Clajo Herrmann und Michael Eller fläzen sich vor der Bühne des Aschaffenburger Hofgarten-Kabaretts, gehen den Zeitplan für das Speakers Corner an diesem Abend durch. Herrmann – eine Hälfte des Ersten Allgemeinen Babenhäuser Pfarrer-Kabaretts – ist Moderator des Abends, Eller eröffnet und beschließt die über zwei Runden gehende Talent-show für Nachwuchs-Kabarettisten und -Comedians.

Zwei Mal zehn Minuten hat der Frankfurter, um das Aschaffenburger Publikum von sich zu überzeugen. Bestreiten wird er sie mit Auszügen aus seinem abendfüllenden Programm »Hauptsache, die Haare liegen«. Kein Head-Set, lieber Stand-Mikro, signalisiert Michael Eller Hofgarten-Licht- und -Ton-Techniker Andi Roth. Es hält den Comedian in der Bühnenmitte, bildet einen Haltepunkt. Seit drei Jahren treibt Michael Eller regelmäßig seine Späße vor Publikum, auf etwa 70 Auftritte bringt er es pro Jahr. Comedy ist Kult geworden in Deutschland, Eller gehört zu den vielen weniger Bekannten im großen Feld der Kodderschnauzen, Promi-Zeiher, Gagverwerter. Deshalb sind für ihn Auftrittsmöglichkeiten wie das Speakers Corner wichtig: Hier kann er Punkte sammeln, sich einen Namen machen, eine Fangemeinde aufbauen . . . . . . wenn denn sein Programm stimmt, die Witze zünden, die Pointen sitzen.

Nur: Für die meisten Bühnenbetreiber bedeutet jeder No-Name-Comedian ein Risiko. Nicht, dass sie einen Rohrkrepierer befürchten. Aber bei Pocher, Nuhr, Hoecker und Maddin weiß das Publikum, was es erwartet und kommt – denn auch der Zuschauer lässt sich nur ungern auf das Risiko ein, sein Geld auf gut Glück auszugeben. Axel Teuscher macht denn auch keinen Hehl daraus, dass Speakers Corner für das Aschaffenburger Vorzeige-Kabarett neben dem künstlerischen Stellenwert auch einen finanziellen Aspekt hat. Den Jungen, Neuen, Unbekannten, Hungrigen ist an Speakers-Corner-Abenden die Bühne frei, das muss reichen, sagt der Geschäftsführer der Humor-Anstalt: Wer rauf will, sagt einfach Bescheid. Gage gibt’s keine, immerhin aber ein Fahrtgeld. Schließlich lebt der wahre Künstler vom Idealismus: weswegen zu den unbestrittenen Glanzlichtern dieser Hofgarten-Reihe zählt, wenn Mike Wissel, der Wirt der benachbarten Gaststätte, von spontaner Lust getrieben schnell mal die Bühne entert und seinen aktuellen Lieblingswitz zum besten gibt.

Auch das ist Speakers Corner: Jeder darf mal ran, er muss sich nur trauen. So wie Anni Christ-Dahm. Die Alzenauerin hat im heimischen Theaterverein Bühnenerfahrung gesammelt, nun muss sie beim Speakers Corner zum ersten Mal mutterseelenallein raus auf die Bühne – und das nur, weil »mich der Teufel geritten hat, mich zu bewerben«.

Die Probe lässt Freiraum zum Philosophieren: »Eigentlich ist Comedy ja mehr etwas für junge Leute«, sagt die 48-Jährige, »ich habe eine andere Lebenserfahrung, einen anderen Humor«. In erster Linie geht es Anni Christ-Dahm um die Courage und das Ausloten der eigenen Grenzen. Ambitionen auf eine Comedy-Karriere hat sie nicht, ihre eher kabarettistisch gefärbten Auftritte gefallen den Zuschauern – auch wenn Moderator Herrmann trotz deutlichen Überziehens der vereinbarten Zeit ein galliges »Wir machen durch bis morgen früh« anstimmt.

Michael Eller und der auf furztrockenen fränkischen Humor setzende Fürther Matthias Egersdörfer – der an diesem Abend ebenfalls seine zwei Auftritte hat – denken da in ganz anderen Kategorien, machen unbeirrt weiter und haben’s schon fast geschafft. Sie bestreiten mittlerweile Programme im C 3, der Comedy-Lounge von Hofgarten und Kinopolis. C 3 ist die Spielstätte »der Halbprofessionellen«, sagt Teuscher: jener, die den Hofgarten noch nicht zur Gänze füllen, aber auf einem guten Weg dahin sind. Tatsächlich hat sich der Freiberufler Eller mit Comedy ein zweites Standbein geschaffen, »auf dem ich mittlerweile die meiste Zeit fuße«. Der Mann meint es ernst – so ernst, wie er die anfänglichen und guten Ratschläge im Freundeskreis nahm. »Mach doch mal was auf der Bühne«, sagten die zu seiner Art des Humors und daraufhin besuchte Michael Eller die Comedy-Akademie in Köln, wo Trainer wie der Produzent der legendären »RTL-Samstag-Nacht«-Show den Karl Valentins der Spaß-Gesellschaft das Handwerk beibringen.

Michael Eller scheint gut aufgepasst zu haben: Im Hofgarten gibt es Szenenapplaus für den selbsternannten »liebenswerten Drecksack mit hoher Gag-Dichte«, die Beruhigungs-Zigarette vor dem Auftritt im Hof des Kabaretts erweist sich im nachhinein als überflüssig, . . . . . . zumal Eller auf Selbstbewusstsein setzt und neuerdings auch Bewusstseinserweiterung betreibt: »Comedy-mäßig liegt Frankfurt brach«, befindet er und will das mit der Stand-up Lounge in der Frankfurter Batschkapp ändern: In dem Heddernheimer Rock-Schuppen wird seit diesem Herbst jeden zweiten Dienstag im Monat nach dem Speakers-Corner-Vorbild die Bühne freigemacht für Talente, Michael Eller selbst hat sich in seiner Moderatoren-Rolle als Institution im geplanten Kult etabliert. Damit wird das Netz der Möglichkeiten in Rhein-Main dichter, bietet die Masse nun auch Chancen für Klasse.

Die gibt es, zeigt sich am Beispiel des Poetry Slam in Darmstadt: Mit »Dichterschlacht« übersetzt der gleichnamige Verein den englischen Begriff für den Wettbewerb um geschliffene Reime – und dass dies nicht bierernst gemeint ist, beweist die Aufforderung an die vom Publikum bewerteten Dichter, ihre Rede auf die Reife eines Pilses – also sieben Minuten – zu beschränken. Die Dichterschlacht in der Centralstation hat im dritten Jahr ihres Bestehens bundesweit Anerkennung erreicht, gerade weil keineswegs wortarme Poeten von ihrer Bühne ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gesprungen sind.

Ludger Kusenberg ist so einer, der es mit seiner Leidenschaft schaffen wird: Vor fünf Jahren hatte der Journalist seinen ersten bezahlten Auftritt, heute reicht ein K mit Punkt als Synonym für einen »hauptberuflichen Kabarettisten mit starken Stand-up-Elementen«. Ludger K. gibt einen bemerkenswerten Auftritt beim Speakers Corner, jedes Wort ist eine Faust und jeder Satz ein Treffer. Geschickt mischt der »Berufsjugendliche im Ruhestand« politisches Kabarett mit Zeitgeist-Spaß-Kultur: »Vor der Papstwahl gab es in Deutschland zwei große Religionen: den Islam und den Atheismus«, oder: »Das Land der Dichter ist zum Land der nicht mehr ganz Dichten geworden«. Leichte Sprüche, hinter denen harte Arbeit steckt. Ganz klar, Ludger K. ist an diesem Abend die Hauptspeise. Und weil er so gut mundet, nimmt ihn Axel Teuscher ins Solo-Programm für die kommende Saison. Diesmal mit Gage.

Stefan Reis