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Apokalyptischer Alptraum – MainEcho vom 12. Dezember 2012

Kultburg: Alzenauer Theaterverein spielt dreimal Becketts »Endspiel« im Rittersaal der Burg – Erstaunliches geleistet

Alzenau »Hochachtung und Respekt« zollte Roland Kilchenstein, Vorsitzender des Alzenauer Theatervereins Kultburg, den vier Akteuren von Samuel Becketts absurdem Stück »Endspiel«, das von Freitag bis Sonntag gleich dreimal im Rittersaal der Burg aufgeführt wurde. »Die Schauspieler haben Erstaunliches geleistet«, lobte er nicht nur Regisseurin Christine Mareck-Brünnler, die in Doppelfunktion die Rolle der Nell übernommen hatte, sondern auch Harald Gelowicz, der den blinden Hamm verkörperte, Michael Ruppel als dessen Adoptivsohn und Diener Clov, sowie Timo Jahn, der Hamms Vater Nagg spielte. Er und Nell haben bei einem Unfall ihre Beine verloren und leben seitdem in Mülltonnen.

Die einzigen Überlebenden

Die vier sind die einzigen Überlebenden einer globalen Katastrophe. Eine Projektion an das Mauerwerk des Rittersaals verkündet dem langsam eintrudelnden Publikum: »Auch der Rittersaal befindet sich im Zustand nach einem Super-Gau. Doch mit ein paar Handgriffen kann der geneigte Besucher selbst wieder Ordnung schaffen.« In der Tat, auf den Stühlen liegen leere Getränkedosen und Plastikverpackungen, Klopapierrollen schlängeln sich malerisch über die Stuhlreihen. Gut gelaunt machen die Gäste ihre Plätze frei und entsorgen den Müll-Super-Gau in einer bereitgestellten Tonne, die per Schild klagt: »Ich fühl mich so leer!«

Leer ist auch die Welt in »Endspiel«. Das Leben ist ein apokalyptischer Alptraum, in dem sich die vier Überlebenden ihren Alltag so schwer wie möglich machen. Der 1916 geborene Beckett schrieb seinen Welterfolg im Jahr 1956. Er wurde damit nach »Warten auf Godot« endgültig zum Begründer des modernen absurden Theaters. 1969 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

In »Endspiel« werden die Personen »in einer metaphysischen Ausweglosigkeit« gezeigt, schreibt Regisseurin Mareck-Brünnler im Programmheft. »Die Einheit von Zeit, Ort und Handlung sind in Becketts »Endspiel« aufgelöst. Die Zeit läuft nicht mehr ab, sie wird zu einem fixierten Dauerzustand, hier dem Vegetieren. Der Ort ist überall und nirgends.«

Eine Bravourleistung ist es, wie der Amateur-Theaterverein die Herausforderung stemmt und dabei gewinnt. Der Einakter wird in einem Rutsch durchgespielt – 90 Minuten lang, in denen Publikum und Akteure eine Beziehung eingehen. Die Zuschauer lassen sich auf das moderne Werk ein und können nur staunen, welche kulturellen Perlen in Alzenau zu entdecken sind, wenn man danach sucht.

Niemand kann vergeben

Der blinde Hamm, der im Rollstuhl sitzt, und sein gehbehinderter Diener Clov quälen sich gegenseitig mit grausamen Wortspielereien und finden keine Ebene, auf der sie den katastrophalen Ist-Zustand verarbeiten können. Die Dialoge der in Mülltonnen lebenden Eltern Hamms, die bei einem Unfall ihre Beine verloren haben, spielen auf einer emotional liebevolleren Basis. Doch niemand gewinnt hier, denn niemand kann vergeben. »Verfluchter Erzeuger«, herrscht Hamm seinen Vater an und fordert von Clov: »Weg mit diesem Dreck. Ins Meer damit!« Alzenau wird ganz nah in diese irreale Welt geholt, als Hamm Clov zunächst befiehlt, mit dem Fernglas die Ruine des Kraftwerks anzuschauen und dann fordert: »Sieh dir den Turm der Villa Messmer an!«

Zu lachen gibt es für das Publikum nicht allzu viel, das ist aber auch nicht die Intention des Stücks. Unfreiwillige Komik erzeugt die Szene, in der ein kleiner Stoffhund quer durch den Rittersaal geworfen wird und prompt eine bis dahin noch gefüllte Getränkeflasche umwirft. Gut, dass so viele Klopapierrollen zur Hand sind …

Herausforderung bestanden

Mit der Aufführung von Samuel Becketts »Endspiel« beweist der Alzenauer Theaterverein, dass er im zehnten Jahr seines Bestehens leistungsstärker als zuvor ist und Herausforderungen bravourös besteht, die selbst Profitruppen zur Verzweiflung treiben können. Was lediglich noch fehlt, sind mehr Besucher, die sich dieser schweren Kost und der damit verbundenen Herausforderung stellen. Manchmal muss man sich eben auf ein »Endspiel« einlassen, »denn das Ende liegt im Anfang«, überall und nirgends.

Doris Huhn