Norway today – MainEcho vom 9. Oktober 2003

Ein Grenzgang zwischen Tod und Leben

Theaterverein »kultBurG« überzeugte mit »norway.today« im Rahmen der Kulturtage Alzenau.

Am 9. Februar 2000 stürzte sich ein 24 Jahre alter Norweger vom 600 Meter hohen Prekestolen-Felsen in Norwegen in den Tod in Begleitung einer jungen Österreicherin. Beiden hatten ihren Selbstmord im Internet verabredet. Zurück blieben nur die Stöckelschuhe. Der norwegische Autor Igor Bauersima hat diese Geschichte nachrecherchiert heraus kam eines der derzeit meist gespielten Bühnenstücke auf deutschen Theatern: »norway.today«.

 

Der Theaterverein »kultBurG« zeigte im Rahmen der unterfränkischen Kulturtage in Alzenau dieses Stück. Premiere in ausverkauften Maximilian-Kolbe-Haus war am Dienstag. Die unterfränkischen Kulturtage stehen unter dem Motto »Grenzgänge« und im Gegensatz zu den meisten Veranstaltungen der Kulturtage Weck, Woarscht und Woi handelt es sich bei »norway-today« um einen echten Grenzgang zwischen Leben und Tod, wahrem Leben und Scheinwelt.

Dennoch ist »norway.today« kein Drama. Die Versuche von Julie, ihren »Abgang« möglichst professionell zu inszenieren, während August immer wieder von den Banalitäten des Alltags eingeholt wird etwa wenn er Angst bekommt, sein letzter Gedanke könnte einem Zitroneneis gelten sorgen für einen skurrilen, manchmal sogar morbiden Humor.

Tobias Graupner und Katharina Wilz spielen die beiden Jugendlichen Julie und August in einer grandiosen Leistung. Julie möchte aus dem Leben scheiden, weil sie denkt, schon alles erlebt zu haben, August, weil für ihn das Leben nur »fake« ist, falsch. »Das echteste Gefühl, das ich haben kann, ist, dass nichts ist.« Dabei haben die beiden Wohlstandskinder die Welt immer nur künstlich erlebt, sind selbst ein Teil der Computer- und Medienwelt geworden. Rücken an Rücken sitzen Julie und August am Anfang an ihren Computern, der Dialog steht als eiskalte, blaue Projektion des Internet-Charts zwischen ihnen. Später versuchen beide, ihre Gefühle selber auf Video zu bannen, und kommen dabei zu dem Ergebnis, dass es nicht gelingt, oder wenn, dann nur als »fake«.

Julie ist am Anfang die energischere Person, die den Selbstmord eiskalt plant. »Anfänger« wirft sie August vor, und »Du hast im Taxi gezittert«. Am Ende wird sie selber wie ein Häufchen Elend am Boden sitzen, während August sie mit der Videokamera umkreist. Dazwischen werden beide mit dem wirklichen Leben konfrontiert. Ein Polarlicht und eine gemeinsame Liebesnacht bringt Julie zu der Überzeugung: »Ich habe doch noch nicht alles gehabt«. Von ihren Gefühlen überwältigt, greifen beide zur Videokamera, um sich dahinter zu verstecken. Doch es gelingt nicht. Am Ende werden sie nicht springen, sondern die Kamera in den Abgrund werfen.

Regisseurin Ursula Jebe ist mit »norway.today« eine großartige Inszenierung gelungen. Auf einer minimalistischen Bühne drei weiße Dreiecke vor schwarzem (Ab)-Grund entfaltet sich mit viel technischem Aufwand ein Panoptikum echter und falscher Gefühle. Projektion und Wirklichkeit Dabei läuft der Zuschauer stets Gefahr, in die falsche Welt der Bilder mit hineingezogen zu werden, denn der Zuschauer sieht nicht nur die Schauspieler, sondern zugleich, als Projektion, deren Abbild durch die Videokamera. Die Verlockung ist groß, lieber den künstlichen Bildern zu folgen als den wahren Personen. Davor bewahrt immer wieder das Spiel der beiden Schauspieler, denen es gelingt, stets »echt« rüber zu kommen. Wie sagt Julie: »Fake muss offenbar nicht immer fake sein. Fake kann total echt sein manchmal«.

Josef Pömmerl