Lysistrate – FAZ vom 21. Juni 2003

Von der Macht der Frauen und umgekehrt

Ein Stück um die Leidenschaft: “Lysistrata” bei den Burgfestspielen in Alzenau

ALZENAU. Lysistrata ist eine kluge Frau. Viel klüger ist die Athenerin als alle Weiber in Griechenland und klüger als die Männer allemal. Denn Lysistrata denkt über das Heute hinaus. Sie hat das Ganze im Blick und weiß, daß es manchmal für den Moment besser ist, Verzicht zu üben, um für die Zukunft das Glück zu gewinnen.

 

Diese Erkenntnis unter die Menschen zu bringen, hat sich vor mehr als 2000 Jahren schon der antike Dichter Aristophanes bemüht. Mit seiner Version von “Lysistrata” wagt sich das Alzenauer Theaterensemble “Kultburg” bei den dritten von der Stadt veranstalteten Alzenauer Burgfestspielen jetzt an einen abermaligen Versuch.

Die Handlung der griechischen Komödie ist schnell zusammengefaßt: Die Frauen von Griechenland sind des langen Krieges unter den Stadtstaaten leid. Sie wollen ihre Männer endlich wieder auf Dauer bei sich haben und ihre Nächte nicht mehr monatelang allein in einsamen Schlafzimmern verbringen. Da ruft Lysistrata, die “Heeresauflöserin”, die namhaften Frauen aus Athen, aus Attika, Korinth und Theben zusammen und bittet auch die Ehefrauen der feindlichen spartanischen Krieger hinzu.

Unter ihnen herrscht keine Zwietracht. Dennoch fällt es Lysistrata schwer, den Damen ihren Plan schmackhaft zu machen, denn er bedeutet auch für sie bitteren Verzicht. Alle Soldatenfrauen sollen ihren Männern die ehelichen Freuden verwehren, solange sie nicht untereinander Frieden geschlossen haben. In Athen besetzen die Frauen überdies die Burg, am Originalschauplatz die Akropolis, und beschlagnahmen die Kriegskasse. Ein Eid, nicht auf Blut geschworen, wie es die Männer tun, sondern auf edlen Wein, besiegelt den Pakt.

Es ist bekannt, wie die Geschichte ausgeht. Die Frauen haben ihre Männer an ihrer empfindlichsten Stelle gepackt, und am Ende herrscht tatsächlich wieder Frieden im Land. Bis dahin aber entwickelt sich auf der Freilichtbühne vor der Burg Alzenau ein turbulentes Geschehen, bei dem die Männer alles andere als eine gute Figur machen.

Überrumpelt von der plötzlichen Entschlußkraft der sonst so hingebungsvollen und zarten Weiblichkeit, bleiben ihre Versuche, den Frauen wenigstens den Staatsschatz wieder abzuluchsen, mehr als halbherzig. Sie lassen sich verprügeln, verspotten und erotisch an der Nase herumführen. Der Pflege der Damen beraubt, verwahrlosen die Männer äußerlich wie innerlich, so lange, bis die Erkenntnis reift, daß es so nicht mehr weitergehen kann.

Aber auch die Frauen um Lysistrata agieren keineswegs nur als Heldinnen. Mit Holzkeulen gehen sie immer wieder auf die Männer los und vergessen dabei ganz, daß sie doch eigentlich für den Frieden kämpfen. Überdies versucht eine nach der anderen, unter fadenscheinigen Gründen, sich aus der besetzten Burg davonzustehlen, um ihre eigenen Begierden im heimischen Ehebett zu stillen. Doch Lysistrata packt sie alle am Schlafittchen und führt sie mit sanfter Strenge auf den Pfad der Tugend zurück.

Nach “Lukas, der Silberschmied von Alzenau” im Jubiläumsjahr 2001 und “Romeo und Julia” im vergangenen Jahr hat sich das ausschließlich aus Schauspiellaien bestehende Ensemble mit einer griechischen Komödie an keinen einfachen Stoff gewagt. Das fängt schon mit der Tatsache an, daß die mittelalterliche Burgkulisse nicht einmal von einem Hauch des klassischen Griechenlands umweht wird. Die Burg zur Akropolis zu machen, das hat man daher erst gar nicht versucht. Die Frauen besetzen einfach die Athener Burg, dem Zwang zu umständlichen Kulissen hat man sich damit kurzum enthoben. Die Burg darf bleiben, wie sie ist, der Rest bleibt der Phantasie sowie den gelungenen Kostümen überlassen.

Wie in den Vorjahren sind die Schauspieler mit Leib und Seele bei der Sache. Bei “Lysistrata” fehlen allerdings die dominierenden Hauptfiguren wie im ersten Jahr zum Beispiel der Lukas und im zweiten die beiden jugendlichen Darsteller von Romeo und Julia. Dafür bringt in “Lysistrata” das ganze Team eine ordentliche Leistung. Nicht fehlen darf dabei der Kunstgriff, einzelne Mimen unversehens in fränkischen Dialekt verfallen zu lassen. Das ist wie immer einen Lacher wert.

Mit Begeisterung quittiert das Publikum, das die Vorstellungen seit der Premiere in der vergangenen Woche rege frequentiert, überdies auch die einfallsreichen und nur ansatzweise frivolen verbalen Kunstgriffe zur Beschreibung der erotischen Nöte der von Sehnsucht geplagten Männer.

LUISE GLASER-LOTZ

Weitere Vorstellungen von “Lysistrata” gibt es am 27. und 28. Juni sowie am 5. Juli. Nähere Informationen – auch über das zweite Stück “Gott” von Woody Allen – und Kartenreservierung unter Telefon 0 60 23/5 02-1 12 (Verkehrsamt im Rathaus Alzenau).